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Ausgabe 33/2015

Die Kläranlage: Tummelplatz für Technik-Freaks

11.08.2015

„Du hast ja’n echten Scheiß-Job“ oder „Stinkt dir deine Arbeit nicht jeden Tag?“ oder „Na, heute schon probiert?“

 Wenn Michael Wolf und Harald Gombert erzählen, wo sie arbeiten, sind ihnen die immer selben Kalauer sicher. Wolf, 55, ist der Betriebsleiter der Bad Hersfelder Kläranlage, Gombert, 47, ist sein Stellvertreter. Gemeinsam mit dem 11-köpfigen Team, darunter zwei Azubis, sorgen sie sprichwörtlich dafür, dass die Menschen in Bad Hersfeld nicht an ihren eigenen Hinterlassenschaften ersticken.
Die Witzeleien über ihre Jobs ertragen Michael Wolf und Harald Gombert mittlerweile mit stoischer Gelassenheit. „Natürlich unken viele, wenn sie sich mit dem Thema nicht auseinandergesetzt haben. Irgendwie scheint das eine ganz normale Reaktion zu sein“, sagt Michael Wolf und lacht. „Aber bisher war noch jeder, der die Kläranlage besucht hat, begeistert von der Vielfalt unserer Arbeit und der enormen Technik, mit der wir tagtäglich umgehen.“

Dipl.Ing. Michael Wolf (li.) und Abwassermeister Harald Gombert (re.) leiten die Bad Hersfelder Kläranlage, die 1966 in Betrieb genommen und seither regelmäßig modernisiert wurde. Nordöstlich des Betriebsgeländes gibt es zusätzliche Erweiterungsflächen.

Um annähernd zu verstehen, womit sich die Wasserreiniger vom Dienst beschäftigen, benötigt man  Fakten. Die Kläranlage Bad Hersfeld ist die Endstation von insgesamt 250 Kilometern städtischer Kanalisation, die das Abwasser der Kernstadt und sämtlicher Stadtteile ableitet. Insgesamt über 20 Pumpwerke, mehrere riesige unterirdische Ausgleichsbehälter – Regenbecken und Stauräume - und eine komplizierte Wasserführung gehören zu dem umfangreichen System, das dafür sorgt, dass bei Regenwetter durchschnittlich 620 Liter Wasser pro Sekunde (!) durch die Kläranlage fließen. Bad Hersfeld hat überwiegend eine Mischwasserkanalisation. Das bedeutet, dass neben dem Abwasser aus Wohnungen und Betrieben auch das Regenwasser durch die Kanalisation abgeleitet wird.

Belebungsbecken: Das, was so braun sprudelt, sind keine Fäkalien, sondern Milliarden kleiner freiwilliger Mitarbeiter. Denn in diesem Becken übernehmen unzählige Mikrobakterien die Aufarbeitung des Wassers.

 In mehreren Reinigungsstufen wird das Schmutzwasser dann in der Kläranlage aufbereitet, bis am Ende des Prozesses sauberes Wasser zurück in die Fulda geführt wird – pro Jahr rund 6 Millionen Kubikmeter, oder 6.000.000.000 Liter. „Das Wasser, das wir einleiten, ist in vielen Parametern sauberer als das, was der Fluss führt“, sagt Michael Wolf.
„Bis es soweit ist, durchläuft das Abwasser einige Stationen und wird an rund  40 Stellen mit hoch sensiblen Sonden überprüft. Damit kontrollieren wir, ob alle Vorgänge perfekt ablaufen“, sagt Harald Gombert. Und das ist über die gesamte Strecke ein hochkomplexer Vorgang, für den man nicht nur das chemisch-biologische Verständnis, sondern auch umfangreiche technische Kenntnisse benötigt.

Von grob zu fein

Vereinfacht beschrieben, funktioniert eine Kläranlage folgendermaßen: Das Abwasser aus der Kanalisation wird unmittelbar vor der Kläranlage am tiefsten Punkt der gesamten Kanalisation gesammelt. Von dort wird es mit einem Hebewerk aus archimedischen Schrauben rund um die Uhr in die erste mechanische Reinigungsstufe gebracht. Dort siebt eine große Trommel permanent groben Schmutz aus dem Wasser. 
Im nächsten Becken wird aus dem Wasser der darin schwebende Sand entfernt. „Sand sorgt in unseren Anlagen für einen enormen Verschleiß“, erklärt Michael Wolf. „Würden wir ihn nicht zu Beginn des Prozesses ausfiltern, dann müssten wir ständig Pumpen und Werkzeuge austauschen, weil sie vom Sand sehr stark in Mitleidenschaft gezogen würden.“
Danach fließt das Abwasser weiter in ein Vorklärbecken. Von dort aus werden die Feststoffe, die sich am Beckenboden absetzen,  in den Faulturm gepumpt, während das Wasser in das Belebungsbecken weitergeführt wird. Hier sorgen Milliarden von Mikroorganismen und die gezielte Zufuhr von Sauerstoff für die weitere Aufbereitung des Wassers.
Letzte Station ist dann das Nachklärbecken, wo die restlichen noch enthaltenen Schwebstoffe absinken und von dort ebenfalls in den Schlammkreislauf gelangen. Der gesamte Reinigungsprozess folgt damit der Reihenfolge „von grob zu fein“. Das Wasser ist nach dieser letzten Behandlung sauber und wird in die Fulda geleitet.

Eigener Energielieferant

Mit dem Ausschleusen des gereinigten Wassers ist aber nur ein Teil des Prozesses erledigt. Denn der gesammelte Schlamm, der in den Faulturm gepumpt wurde, wird hier weiterbehandelt. Unter Wärmezufuhr sorgen dort wiederum Mikroorganismen für die sogenannte Stabilisierung und setzen dabei einen Großteil der organischen Masse in Methan um, ein farb- und geruchloses Gas, das zwei Blockheizkraftwerke mit insgesamt 200 kW antreibt und so zur Stromerzeugung verwendet wird.
„Das Klärwerk ist der größte Stromverbraucher aller städtischen Einrichtungen. Für den Betrieb der gesamten Anlage benötigen wir jährlich rund 1,5 Millionen Kilowattstunden. Davon erzeugen wird mehr als die Hälfte in unserer Anlage“, sagt Michael Wolf. Der ausgegaste Klärschlamm wird dann noch unter Zugabe von Chemikalien entwässert, um eine Konsistenz ähnlich der von Blumenerde zu erreichen. Dieser Wertstoff wird dann als Dünger auf die Felder ausgebracht.

Wolf und Gombert lieben ihren Job. Hin und wieder gibt es kuriose Funde – ein Mal rief ein besorgter Bürger nuschelnd in der Kläranlage an und fragte, ob man sein Gebiss gefunden habe. Das war ihm in die Toilette gefallen. Der spektakulärste Fund war ein ganzes Kettcar. „Wir rätseln noch heute, wie das hierher gekommen ist“, sagt Michael Wolf. Ein Dauerärgernis für die Männer der Kläranlage sind Feuchttücher, die sich im Wasser aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht auflösen und immer wieder für technische Störungen sorgen.

All das hört sich einfach an. Jedoch stecken hinter diesen ausgeklügelten Verfahren Techniken aus den verschiedensten Disziplinen. „Wir beschäftigen uns mit sehr hochwertiger Mechanik ebenso wie mit EDV. Zu unserem Aufgabengebiet gehören Mess- und Regeltechnik, Computer, riesige Pumpen, Sonden und sogar Kraftwerkstechnik. Wir gehen mit Wasser, Gas, Elektrik, Elektronik und chemischen Verfahren um. Wir müssen die gesamte Anlage technisch nicht nur überblicken, sondern auch verstehen, damit wir in besonderen Fällen die richtigen Schritte unternehmen können“, sagt Harald Gombert. Besonders ergiebige Regenfälle stellen die Mannschaft der Kläranlage immer wieder vor besondere Herausforderungen. „Beim großen Hochwasser 1995 hatten wir quasi Daueralarm und mussten die Anlage Tag und Nacht bewachen“, sagt Michael Wolf. „Denn Technik kann ausfallen, und der Bereich der Abwasseraufbereitung ist nun mal hoch sensibel.“ 

Vielfalt für Technikbegeisterte

Dass beide Abwasserspezialisten ihren Job innig lieben, nimmt man ihnen sofort ab – die Begeisterung, mit der sie von den Abläufen in der Kläranlage erzählen, ist mit Händen zu greifen. „Dieses riesige Spektrum ist für einen technikbegeisterten Menschen Herausforderung und Erfüllung zugleich“, sagt Michael Wolf. „Es ist die Kombination der technischen Leidenschaft mit der sinnvollen Tätigkeit. Man stelle sich vor, es gäbe keine Kläranlagen. Unser modernes Leben ist so organisiert, dass die Abwasseraufbereitung ein Kernbestandteil der Daseinsvorsorge ist. Ohne das, was wir hier tun, gäbe es Krankheiten und Seuchen.“ Im Übrigen: Üble Gerüche gibt es nur in ganz wenigen abgetrennten Bereichen. „Eine funktionierende Kläranlage stinkt nicht“, sagt Michael Wolf. 

Doch trotz aller Begeisterung für High-Tech, Vielfalt und moderne Verfahren könnte sich irgendwann einmal die Routine einschleichen. Wolf und Gombert lachen: „Wir haben durchschnittlich alle zwei Jahre signifikante Veränderungen der Anlage, die natürlich immer tiefe Veränderungen unserer Tätigkeit mit sich bringen", sagen sie. „Weiter entwickelte Techniken, neue Messmethoden, veränderte gesetzliche Grenzwerte: Damit verändern sich für uns dann auch immer wieder die Arbeitsabläufe.“

Es bleibt also spannend an der „Endstation der Kanalisation“, die gleichzeitig auch Startpunkt für den neuen Frischwasserzyklus ist. Weil das ganze so spannend ist und Papa Gombert seinen achtjährigen Sohn bereits mit dem Technikvirus infiziert hat, will der kleine statt Pilot oder Feuerwehrmann dann auch viel lieber Abwassermeister werden, wie sein Vater. Auch, wenn seine Klassenkameraden Piloten und Feuerwehrleute natürlich viel cooler finden.   

Harald Wolf am Leitstand der Bad Hersfelder Kläranlage: „Wasser sparen ist in unserer Region absolut nicht angebracht“, sagt der Abwassermeister. „Wir nehmen niemandem das Wasser weg. Durch den Einsatz von Wasser werden die Kanäle sauber gehalten. Sparen sollte man höchstens aus wirtschaftlichen Gründen, und dann im besten Fall Warmwasser, weil das zusätzliche Energie benötigt.“