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Ausgabe 40/2015

Helgo Schmidt: Freund von ganzen Generationen

30.09.2015

Darf man das? Ist es respektlos, ein Portrait über einen Mann mit einer Frisur zu beginnen? Zumal, wenn dieser Mann eine echte Institution in der Stadt ist? Und zumal, wenn es um eine Frisur geht, die es gar nicht mehr gibt? Immerhin hat er ja auch mich selbst einmal beaufsichtigt. Und sogar den amtierenden Bürgermeister Thomas Fehling. Vor fast 35 Jahren, als das Jugendhaus die perfekte Anlaufstelle für Punker, Popper und andere Phantasten meiner Generation war. Soll ich der Versuchung nachgeben? Ich mach’s einfach. Erstens ist es ja sein Markenzeichen. Und zweitens hatte das Jugendhaus seit seiner Gründung irgendwie immer etwas mit Haaren zu tun.



Er ist eine echte Institution in der Kreisstadt: Helgo Schmidt, hier an der Bühne des Jugendhauses, das er leitet. „Hier haben schon unglaubliche Konzerte stattgefunden, die die Jugendlichen selbst organisiert haben“, sagt der 59-Jährige Diplom-Sozialarbeiter, der seit 1981 im Jugendhaus arbeitet.


Der Mann mit der Glatze grinst übers ganze Gesicht. „Sie waren immer dünner geworden, und der kleine Zopf war auch nicht mehr zeitgemäß. Zum 40. Geburtstag habe ich dann den Rasierer angesetzt. Seitdem stört kein Haar mehr die Luftzufuhr!“ 59 ist er jetzt, und wahrscheinlich ist er der bekannteste lebende Hersfelder überhaupt. Kunststück. Helgo Schmidt, Diplom-Sozialarbeiter, ist der Chef des Bad Hersfelder Jugendhauses. Er ist gleichermaßen Aushängeschild und guter Geist der Einrichtung, die man sich ohne den Hühnen überhaupt nicht vorstellen kann.

1977 wurde die Einrichtung, die schon lange Kult-Charakter hat, eröffnet. Geplant von der Stadtverordnetenversammlung und dem Magistrat um Bürgermeister Werner Hessemer. Es sollte etwas für die Jugendlichen der Stadt getan werden. Hans Cornelius, reiferen Jugendlichen noch unter dem Namen „Guinness“ bekannt, übernahm die Leitung. Nicht lange nach dem Start des Jugendhauses absolvierte Helgo Schmidt sein erstes Praktikum. „Ich wollte Sozialarbeiter werden und mit Jugendlichen arbeiten“, sagt er. Schmidt studierte in Fulda, kam zurück in seine Heimatstadt und bekam 1981 die Stelle im Jugendhaus. „Mein Traumjob“, sagt er. „Schon immer.“ Damals hatte er lange Locken...


Selbstorganisation

„Im Vergleich zu heute war das eine wirklich andere Zeit“, erinnert er sich. „Das Jugendhaus wurde von den Jugendlichen selbst organisiert. Es gab Ausschüsse, in denen über Programme und Finanzen beraten wurde. Da war ein unglaubliches Engagement.“ Offene Jugendarbeit, Treff und Anlaufstelle, Mopedwerkstatt, Fotolabor, Konzerte, Theatergruppen – die Kids mit den Schulterpolstern und Vokuhila ließen es im Jugendhaus ordentlich krachen. „ Mitte der Achtzigerjahre waren wir bundesweit eine Top-Adresse für Punkbands. Die kamen aus Frankfurt, Berlin und vielen anderen großen Städten, um hier in Bad Hersfeld aufzutreten“, erinnert sich Helgo Schmidt an wilde Zeiten und noch wildere Frisuren. „Da gab’s natürlich auch einige, bei denen sich die Begeisterung in Grenzen hielt“, lacht er. 

Die Erinnerung an den Live-Rock 1986 ist bei vielen noch präsent. Legendär auch die Jugendkulturwochen und die ungezählten Veranstaltungen, die gemeinsam von Jugendhaus und evangelischer Jugend sowie dem Stadtjugendring organisiert worden waren. „Das war schon klasse“, sagt Helgo Schmidt, dem es immer ein wichtiges Anliegen war, dass die verschiedenen Jugendorganisationen der Stadt gut miteinander vernetzt sind, um ihre Interessen vertreten zu können.


Sozialarbeit an der Basis
„Unsere Arbeit besteht aber nicht nur aus der Organisation großer Events. Vieles von dem, was im Jugendhaus geleistet wird, hat nicht die große Außenwirkung wie die Konzerte aus den Achtzigerjahren. Und es geht ja auch nicht nur um das Jugendhaus. Daneben haben wir innerhalb der Stadtjugendpflege auch die Begegnungsstätte Helfersgrund, den Stadtteilladen „Check-In“ in der Hohen Luft und den Jugendraum in Asbach.“ Für alle diese Einrichtungen stellen Helgo Schmidt und seine  Kollegen Bady Buhle, Yvonne Schön, Dieter Altmann und Yvonne Werner Programme auf, um möglichst viele Kinder und Jugendliche zu erreichen.

 

Seit 1977 besteht das Jugendhaus in der Dippelstraße. Auch heute ist die Einrichtung eine hervorragende Anlaufstelle für alle, die Kontakt zu Gleichaltrigen suchen oder bei dem großen Angebot der Stadtjugendpflege mitmachen möchten.

Immer wieder mit von der Partie ist auch Edgar Steube, der Leiter des Fachbereichs „Generationen“, zu dem die Jugendpflegeeinrichtungen gehören. Von den Ferienspielen über Tanzveranstaltungen, von Familientreffs über Streetdance und Theater, von der Mittagsbetreuung über den Reitkurs bis zur Jugendleiter-Card: Es gibt fast nichts, was die Stadtjugendpflege nicht anbietet. Dabei liegt dem Jugendhaus-Chef etwas ganz besonders am Herzen: „Ich möchte, dass alle Kinder, die eingeschult werden, das Wasser kennen und sich darin sicher bewegen können.“ Schmidt selbst ist leidenschaftlicher Schwimmer und schätzt das nasse Element für seine pädagogischen Möglichkeiten. „Disziplin, Verlässlichkeit, Ehrlichkeit und Verantwortung sind Dinge, die man im Wasser hautnah erfahren kann“, sagt der erfahrene Sozialarbeiter. „Hier können Kinder hautnah erleben, was es bedeutet, sich auf einen anderen zu verlassen.“


Nach wie vor ein Traumjob
Nach wie vor liebt Helgo Schmidt seine Arbeit im Jugendhaus, selbst nach so vielen Jahren. „Man kann nicht damals und heute miteinander vergleichen“, sagt er. „Früher hatten sich die Jugendlichen das Jugendhaus und die Möglichkeiten, die es bietet, erkämpfen müssen. Das hatte eine unglaubliche Verbindung zu dem Haus geschaffen. Das ist heute anders: Es ist halt eben alles da, und die Kinder müssen nur noch zugreifen.“

Als ausgesprochen positiv empfindet der Sozialarbeiter den Umgang der Jugendlichen miteinander. „Wir haben alle da. Deutsche und Angehörige aller möglichen Nationalitäten rings um das Mittelmeer und darüber hinaus. Und es läuft hier wirklich vollkommen stressfrei.“ Möglicherweise liegt es an der Hausordnung, die sich die Jugendlichen selbst gegeben haben. „Die ist ganz schön streng“, lacht Schmidt. Ein anderer Grund ist sicher auch, dass jeder Jugendliche bei Helgo Schmidt und seinem Team weiß, woran er ist. „Die Erfahrung hat eins ganz klar gezeigt: Wenn wir respektvoll miteinander umgehen und klare Kante zeigen, was geht und was nicht geht, dann funktioniert es reibungslos.“Gradlinig müsse man sein, berechenbar und fair. Nur so könne man sich den nötigen Respekt verschaffen.

Und dann fängt er doch an, ein kleines bisschen von der Vergangenheit zu träumen. Von dem Ball der Jugend. Da hatten seine Schützlinge für die städtischen Honoratioren gekocht und einen echten Ball organisiert. „Ich trug sogar eine Krawatte“, grinst Schmidt. Oder von einer Veranstaltung, bei der die Punks (Gickelhahnfrisuren) die Bewohner der Altenheime (Knotenfrisuren und Haarkränze) zum Kaffeetrinken eingeladen hatten. „Das war der Hammer“, erinnert er sich und fügt hinzu: „Es wäre schön, wenn die Jugendlichen heute wieder ein bisschen mehr anpacken würden, um solche Veranstaltungen wie damals zu organisieren.“ 

Was übrigens die Frisur anbetrifft, die hier aber auch wirklich zum letzten Mal erwähnt werden soll: Auch mit seinen fast 60 Jahren und ohne Haare ist Helgo Schmidt noch tausendmal „jugendlicher“ als mancher 30-Jährige mit Matte.